Basketball in der DDR und in Rostock

Wann genau die Geschichte des Basketballs in Rostock beginnt, ist nicht überliefert. Dokumente und Aufzeichnungen fehlen und sind lückenhaft, Zeitzeugen können sich schwerlich erinnern. Es ist das Suchen der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen; ein Puzzle, in dem viele Teile fehlen; eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Um ein Bild vom Basketball in der Hanse- und Universitätsstadt zu zeichnen und dem Korbsport mehr Konturen zu verleihen, ist eine Reise in die Vergangenheit hilfreich.

Basketball kommt in den 1930er Jahren nach Deutschland. Der Lehrer Hermann Niebuhr unterrichtet von 1931 bis 1933 an einer deutschen Schule in Istanbul und lernt dort, am amerikanischen Robert College, die Sportart kennen – und lieben. Er bringt Basketball, der 1891 in Springfield (USA) vom Arzt und Pädagogen James Naismith erfunden worden ist, im August 1933 nach Deutschland. 1935 gründet Niebuhr beim VfL Bad Kreuznach, einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, die erste Basketballabteilung in einem deutschen Sportverein. Zugleich verbreitet sich die Sportart im Land durch ausländische Studenten an Universitäten und Sportschulen des Heeres und der Luftwaffe. 

Erstmals ist Basketball auch bei den Olympischen Spielen, die 1936  in Berlin stattfinden, präsent. Erfinder Naismith ist anwesend, führt den Sprungball des ersten Spiels aus und überreicht dem Sieger, den USA, die erste olympische Goldmedaille nach einem 19:8-Finalsieg gegen Kanada. Nach den Olympischen Spielen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erlebt Basketball in Deutschland eine erste kurze Blütezeit. Im April 1939 sind rund 3.400 Spieler in 156 Vereinen registriert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg muss die politische, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung neu hergestellt werden. Die Verbände des Deutschen Reiches gibt es nicht mehr. 1948 wird der Deutsche Sportausschuss (DS) als Dachorganisation des Sports in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in Berlin gegründet. Zwei Jahre später, am 18. Dezember 1950, wird die Sektion Basketball/Volleyball im DS ins Leben gerufen. Daraus ging am 2. März 1952 die eigenständige Sektion Basketball hervor. Am 21. Juli 1952 wird die Sektion Basketball des Deutschen Sportausschusses Mitglied des Weltverbandes FIBA. Seit dem 20. Mai 1958 nennt sie sich Deutscher Basketball-Verband (DBV), bis dieser schließlich im Zuge der Umgestaltung der DDR zum 3. November 1990 aufgelöst wird. Ebenfalls im Jahr 1952 nimmt der DBV an der Damen-Europameisterschaft in Moskau teil und stellt bei der Herren-Europameisterschaft 1953 sogar eine gesamtdeutsche Auswahl. 

In der DDR nimmt die HSG Rostock sowohl 1952/53 als auch 1953/54 an der Herrenmeisterschaft der DS-Liga, einem Vorläufer der Oberliga, teil. Darunter sind auch zwei Akteure aus Rostock: Richard Mahrwald und Heinz Ulrich. Beide sind zudem Teil einer Basketballauswahl, die von den Trainern Winogradow und Sinin von Dynamo Moskau nominiert wird und im August 1951 bei den Weltfestspielen in Berlin gegen die Vertretungen von China, Korea, England, Frankreich und Iran antreten durfte.

Die Oberliga ist die höchste Spielklasse im Basketball in der DDR, in der von 1955 bis 1990 in verschiedenen Formaten die Deutsche Meisterschaft im Vereinsbasketball ausgespielt wird. Der DBV ist Veranstalter. Zur selben Zeit wird mit der DDR-Liga eine zweite Liga gegründet, in der auch Rostocker Teams antreten. Die Sektion Basketball der Hochschulsportgemeinschaft (HSG) der Universität Rostock, die im Mai 1949 gegründet wurde und zu den ältesten Sportvereinen der Hansestadt zählt, ist einer von 28 Basketballvereinen in der DDR, die am 29. Oktober 1954 registriert wurden. Zuvor in jenem Jahr wird auch der Bezirksfachausschuss Rostock zur besseren Strukturierung der Sportart beschlossen. Das Fachblatt BASKETBALL dokumentiert in einer Ausgabe aus dem Jahr 1960, dass „1951 […] das offizielle Geburtsjahr des Basketballs in der DDR“ war. Allerdings: „Die Entwicklung schritt nur langsam voran. Das Handballspiel, das deutsche Nationalspiel mit den Händen, ist weit verbreitet und erschwert die Entwicklung eines weiteren Spiels mit den Händen.“ 

Dennoch entwickelt sich Basketball in der DDR bis 1968 relativ solide, wenngleich die Sportart aus den USA in der DDR kritisch beäugt wird. Doch viele Heranwachsende und Studenten wollen von der verbotenen Frucht kosten. Die Herren-Auswahl erreicht bei der EM 1963 im polnischen Breslau den 6. Platz. Die Damen holen 1966 EM-Bronze in Rumänien, werden 1967 WM-Vierter in der Tschechoslowakei, ein Jahr später reicht es ebenfalls zum vierten Rang bei der EM in Italien. 1968 besiegt das Team der Akademie der Wissenschaften Ost-Berlin im Europapokal der Landesmeister sogar renommierte Teams wie den FC Barcelona. Dann folgt der Schock: Ein Beschluss der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) stuft den Sport aus Amerika im Jahr 1969 als nicht förderungswürdig herab, weil die Aussichten auf Punkte und Medaillen nicht gegeben sind. „Der Leistungssport in der DDR war ja auch dazu da, um die Überlegenheit des Systems zu dokumentieren […]“, heißt es in einem Beitrag über den Basketball in der DDR im Buch Faszination Basketball. „Hinzu kam, daß die Handballer schon Erfolge erzielt hatten und auf dem Wege zur absoluten Weltspitze waren, so daß sich die Sportführung ganz auf diese Ballsportart konzentrieren wollte.“

Mit dem Beschluss war auch ein Ausreiseverbot für Basketballer verbunden, das bis 1988 anhalten sollte. In dieser Zeit spielt zwar die Oberliga weiterhin ihre Meister im weiblichen wie auch männlichen Bereich aus, doch international ist der Arbeiter- und Bauernstaat bei keinem Wettbewerb mehr vertreten. Die DDR-Auswahl tritt lediglich gegen Nationalmannschaften befreundeter Länder (z.B. Polen, Rumänien, Ungarn) an.

Basketball ist im Süden der DDR populär und wird seit jeher als Betüchtigung für Akademiker und Arbeiter verstanden. Hochschulen und Betriebe gründen Sektionen, sie pflegen den sportlich fairen Vergleich untereinander. Die Hochburgen sind Betriebssportgruppen bzw. Spiel- und Sportgemeinschaften von Universitäten in Berlin, Halle, Magdeburg und Leipzig, die die Meisterschaften und Pokalsiege in der DDR-Oberliga unter sich ausmachen.

Im Jahr 1966 kommt auch der 14-jährige Klaus-Dieter Lehmann mit Basketball in Berührung. Er besucht die erweiterte Thomas-Müntzer-Oberschule in Halle an der Saale. Damals ahnt er noch nicht, dass er einer der wichtigsten Wegbereiter des Basketballs in der Geschichte Rostocks bzw. Mecklenburg-Vorpommerns werden sollte. Lehmann erinnert sich gut daran, wie alles begann: „Am 1. September 1966 kam mein Sportlehrer, ein gewisser Herr Siegfried Käsebier, in die Halle und sagte: ,Meine Herren, wir spielen hier Basketball!‘ 20 Mann fragten: ,Was ist denn das?‘ – ,Den Ball da oben reinwerfen. Das kann ja nicht so schwer sein!‘“ Käsebier, der als FIBA-Schiedsrichter im DBV eingesetzt wurde, war 1952 Gründungsmitglied der Sektion Basketball bei der HSG Wissenschaft Halle. Damals lösten sich in Halle die Basketballer von den Volleyballern ab und bildeten eine eigene Trainingsgruppe. Dank Käsebier als Mentor und „Schleifer“ infiziert sich Lehmann schnell mit dem Basketballvirus. Wie viele andere Jungspunde wuchs er mit Fußball auf, doch Basketball war anders. „Was mich damals so fasziniert hat?“, fragt Lehmann – und beantwortet seine Frage selbst: „Man hat schnell Fortschritte gemacht. Wenn man im Sport in der DDR was geworden ist, konnte man auch raus. Das war eine ganz einfache Motivation. Und: Es ist die geilste Sportart der Welt!“ 

Die Faszination für den Sport mit dem Korb und dem orangefarbenen Ball lässt Lehmann nicht mehr los. Auch nicht nach dem Leistungssportbeschluss von 1969. Zuvor war der Meister der Oberliga berechtigt, am 1958 gegründeten FIBA Europapokals der Landesmeister teilzunehmen. Das änderte sich prompt nach der Herabstufung der Sportart durch die SED.

Nach dem Abitur im Jahr 1970 und seiner Armeezeit beginnt Lehmann 1973 seine Studienzeit in Wismar. Dort lernt er auch Detlef Günther kennen. Sie wissen damals nicht, dass sie mehr als 50 Jahre später immer noch die Leidenschaft zum Basketball teilen. Vier Jahre lang spielen sie zusammen bei der HSG Wismar, ehe sie dann nach Rostock gehen, um dort an der Uni weiter zu spielen.

1977 zieht Lehmann nach Rostock – und die Begeisterung für Basketball bleibt. Er geht zwei Jahre für die HSG Warnemünde auf Korbjagd und wechselt 1979 zur Basketballtruppe der Universität Rostock. „In Rostock haben sie an der HSG Uni und auf Freiplätzen Basketball gespielt. Erich Biester, Professor für Fischereibiologie, oder der DDR-Sportreporter Gerhard Kohse sind da zu nennen“, erinnert sich Lehmann. „Auf Club-Ebene war es in der DDR gut organisiert. Die starken Teams kamen aus Halle, Leipzig, Dresden und Berlin.“ 

Die Auswahl der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock (WPU), in der Lehmann und Günther auflaufen, spielt in der DDR-Liga, der zweithöchsten Liga des Landes. Bis Mitte der 1980er stellt die WPU auch weibliche und männliche Mannschaften, die in der Bezirksliga Mecklenburg und Vorpommern den Landesmeister ausspielen. „Die Trikots haben wir damals selbst produziert. Wir haben Schablonen erstellt, beflockt. Alles in Eigenarbeit“, blickt Lehmann zurück. „Die Regeln waren ja allgemein bekannt. Alles andere haben wir damals allein gemacht“, erinnert sich Günther, der 1970 als 17-Jähriger seine erste Begegnung mit Basketball hatte. Zuvor war er Torwart beim Handball.

„Während meiner Lehre in Eisenhüttenstadt habe ich das erste Mal gesehen, dass da welche auf den Korb schmeißen. Ich wurde neugierig und habe mich gefragt: ’Was ist das?‘“ Günthers Liebe zum Spiel wächst ähnlich schnell wie damals bei Lehmann, auch wenn Basketball in der DDR nicht mehr gefördert wird. „Basketball war nebensächlich und auch nicht erwünscht. Es war in einigen Augen der schlimmste Sport, den es überhaupt gab“, meint Günther. Dank der Begeisterung bleiben Lehmann, Günther und ihre Kommilitonen dennoch am Ball.

Michael Grundmann, der 1983 als 15-Jähriger mit Basketball in Berührung kommt, erlernt von Lehmann die Grundlagen. „Klaus war der erste Trainer, der mir die Korblegerschrittfolge beibrachte“, blickt Grundmann zurück. In jüngeren Jahren probierte er sich im Handball, im Schwimmen, Rudern und Leichtathletik. Zum Basketball kam er aus Neugier und um „etwas Neues auszuprobieren“, und auch weil „Basketball in der DDR […] reiner Studentensport [war]. Ansonsten waren nur Fußball und Handball interessant.“

Das Wissen, wie man Basketball spielt, eignen sie sich aus Lehrbüchern an. Der Austausch mit anderen Sportlehrern, Spielern und Schiedsrichter rückt in den Vordergrund. Die knappe Berichterstattung in den verfügbaren Medien konzentriert sich auf das sozialistische Ausland, die US-Profiliga NBA findet keine Berücksichtigung. Der große Einfluss zu DDR-Zeiten kommt von Spielern und Teams aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Sowjetunion. Arvydas Sabonis, Sarunas Marciulionis, Nikos Galis, Dražen Petrovic´ oder Rimas Kurtinaitis sind die Superstars dieser Zeit – und auch in der DDR keine Unbekannten. „Basketballmäßig gab es was in der Zeitschrift Sputnik“, weiß Lehmann, der in den 1980er Jahren jeden Artikel und jedes Fotos akribisch gesammelt und feinsäuberlich abgelegt hat. 

Einer seiner basketballerischen Höhepunkte ist die Reise zum Europapokalfinale nach Budapest im April 1986. Damals kämpfen Cibona Zagreb und Zalgiris Kaunas vor 12.500 Zuschauern um den Titel. Das Spiel wird von den Legenden Petrovic und Sabonis geprägt. Die Anreise mit dem Auto von Rostock nach Budapest ist ein Abenteuer, für das sich der Aufwand lohnt. Es unterstreicht, wie sehr Klaus-Dieter Lehmann schon damals für Basketball brennt.

Lehmann spielt viele Jahre selbst Basketball in Rostock, von 1980 bis 1985 an der WPU, danach gründet er die Sektion Basketball im Fischkombinat (FIKO), trainiert und entwickelt junge Spieler, gewinnt Meisterschaften und geht auch selbst weiter auf Korbjagd. „1985 bin ich zu FIKO gegangen, weil ich im Fischkombinat gearbeitet habe. Da haben wir Jugendarbeit gemacht. Detlef Schläfke (später Professor der Forensischen Klinik in Rostock) ging zur 2. Oberschule in Dierkow und hat Basketball organisiert. Da habe ich gesagt: Das übernehme ich. Da waren solche Leute wie Ulf Gülzow, die damals mit 15, 16 Jahren bei mir angefangen haben.“

Zugleich ist Lehmann als Funktionär tätig: „Mecklenburg-Vorpommern hat immer schon Basketball zusammen gemacht. Ende der 1970er Jahre war ich Funktionär beim Bezirksfachausschuss der drei Nordbezirke im DBV. So gab es Teams in Schwerin, Wismar, Neubrandenburg, Greifswald, Stralsund und Rostock.“

Auch wenn Rostock zu DDR-Zeiten keine Basketballstadt gewesen ist, gibt es einige Spuren dieser Sportart in der Hansestadt. So fand zum Beispiel das Finale der Oberligameisterschaft im April 1987 in Rostock statt. In der Sporthalle im Justus-von-Liebig Weg hängen bei diesem Entscheid handgemalte Großbanner mit der Aufschrift „Dein Herz dem Sport – Basketball ist in“ oder „Treibt alle Sport – Spielt Basketball“. Im Finale setzt sich die BSG AdW Berlin gegen die HSG Wissenschaft KMU Leipzig durch und gewinnt ihre 10. Meisterschaft in Folge.

Für den Basketball in Rostock ist das Meisterschaftsturnier um den DDR-Titel 1987 einer der Höhepunkte. 

In einer Zeit, in der Fußball (FC Hansa Rostock) und Handball (HC Empor Rostock) die Zuschauermagneten der Hansestadt sind, fristet der Basketballsport weiterhin ein Schattendasein. Die drei Rostocker Vereine, in denen Basketball gespielt wird, sind die HSG Warnemünde, die HSG Uni Rostock und FIKO Rostock.

Für den Macher Klaus Lehmann, der 1977 nach Rostock gekommen war, für die WPU auf Korbjagd ging, Mitte der 1980er Jahre mit FIKO den Rostocker Basketball weiter prägte und ab November 1990 als Präsident des Basketballverbands Mecklenburg-Vorpommern (BVMV) fungierte, sollte schon bald ein weiterer Meilenstein bevorstehen. 

Dies erwies sich als harte Bewährungsprobe in einer Zeit des politischen und ökonomischen Umbruchs.

Der Basketball muss nach der Wende Schritt um Schritt aufgebaut werden; bei FIKO waren 1990 nur noch 17 Mitglieder aktiv, im Februar 1993 wuchs diese Zahl auf 112 an. Am 18. Januar 1994 schreibt die Ostsee-Zeitung: „Ein entsprechender Unterbau, wie in anderen Mannschaftssportarten vorhanden, fehlt im BVMV völlig: Bezirks- oder Kreisligen gibt es nicht. So gesehen steckt die Entwicklung des Basketballsports hierzulande noch in den Kinderschuhen. Das aber soll sich in den nächsten Jahren ändern.“


Der Rostock Seawolves e.V. feiert im Jahr 2024 sein 30-jähriges Bestehen. Bis Ende Mai erscheinen Beiträge aus der Vereinsgeschichte, angefangen mit Basketball in der DDR und in Rostock, den Anfangsjahren des Vereins bis hin zum rasanten Aufstieg von der 5. bis in die 1. Liga innerhalb von nur zwölf Jahren.

Wer Dokumente aus der Vereinsgeschichte teilen möchte, kann gern eine Mail an 30jahre@seawolves.de senden.