Wir treffen Nicolas Buchholz und Toni Nickel an einem Dienstagmorgen im Mai, einen Tag nach Nicolas letzter schriftlicher Abiturprüfung: „Geschichte – fünfeinhalb Stunden Ost-West-Konflikt.” Tonis Schule ist wegen der Corona-Krise geschlossen. Da bleibt zum Glück viel Zeit zum Basketballspielen: „Gerade in Zeiten von Corona bin ich froh, dass ich zum Training gehen kann, weil ich sonst gar nicht weiß, was ich mit meiner Zeit machen soll und freue mich einfach jedes mal, wenn ich in die Halle kann.” Das Duo hat eine Sondergenehmigung zum Sporttreiben unter besonderen Auflagen im vereinseigenen Trainingszentrum in Bargeshagen. Die beiden müssen sich auch in der Offseason fit halten, denn: Nicolas hat seinen Vertrag bei den ROSTOCK SEAWOLVES verlängert, Toni seinen ersten Profivertrag bei den Wölfen unterzeichnet. Ein guter Zeitpunkt also, einen Blick zurück zu werfen.
Zu den Anfängen – das Kennenlernen
Man merkt schnell, dass sich die beiden lange kennen: Schon in der U12 beim Stammverein EBC traf das Duo zum ersten Mal aufeinander und hat seitdem nie aufgehört, im gleichen Team zu spielen. Das schweißt zusammen. Unterschiedliche Wege haben die beiden zum Basketball geführt, Nicolas hat über seinen Onkel zum Basketball gefunden: „Er hat mir immer vom Basketball erzählt, angefangen bei Miami Heat und LeBron James. Dann haben wir einen Zeitungsartikel vom EBC gelesen, in dem nach jungen Spielern für die Grundschulliga gesucht wurde. Da bin ich dann einfach mal hingegangen – und das hat echt Spaß gemacht.”
Toni wurde von André Jürgens, dem ersten Vorsitzenden des EBC, auf den Basketball aufmerksam gemacht: „Er kam in die Sportstunde in der Grundschule und hat uns die Grundlagen des Basketballs gezeigt. Wer wollte, konnte sich dann für die AG anmelden – das habe ich gemacht.” Beide waren zu dem Zeitpunkt elf Jahre alt. Im Winter letzten Jahres haben beide ihren 18. Geburtstag gefeiert. In den dazwischen liegenden Jahren ist viel passiert.
Von der U12 bis ins Perspektivteam
Von der U12 an bekommen die Rostocker Korbjäger beim EBC die Chance, zahlreiche Erfahrungen zu sammeln. Sie durchlaufen diverse Jugendmannschaften und sind 2016 Teil der Auswahl, die es zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte schafft, sich für die Jugend Basketball Bundesliga (JBBL) zu qualifizieren.
Dabei erleben die beiden ihr bisheriges Karriere-Highlight im Jugendbereich zusammen: 2018 wird das Duo mit dem U18-Team Norddeutscher Meister und ihnen gelingt mit dem Perspektivteam einen Monat später der DBB-Jugendpokalsieg. Besonders Nicolas kann sich im März 2019 mit seiner Nominierung für das NBBL Allstar Game als Talent seines Jahrgangs empfehlen. Erstmals überhaupt wird einem Spieler des EBC Rostock diese Ehre zuteil, zu den besten U19-Spielern aus ganz Deutschland zu gehören. Auch für die Rostock Seawolves Juniors laufen die beiden in der vergangenen Saison in der U19-Bundesliga (NBBL) auf. Toni Nickel entwickelt sich hier mit 20,7 Zählern pro Spielrunde zum zweitbesten Punktesammler der Mannschaft unter Headcoach Mladen Ljiljanic hinter Filip Škobalj.
Über die Jahre hinweg bilden die beiden ihren je eigenen Spielstil aus. Toni entwickelt sich zum Inside-Out-Scorer, der von innen wie außen punktet und dabei mit gutem Körpereinsatz und Reboundarbeit eine Gefahr für die Gegner darstellt. Nicolas wird zum vielseitigen Scorer aus der Mitteldistanz und von der Dreierlinie mit einem starken Zug zum Korb. Dabei hat der Youngster immer ein Auge für den Mitspieler und bringt den Ball sicher nach vorne.
Im Laufe der Jahre wechseln die Trainer und Mitspieler. Teamkollegen steigen aus, wollen oder können nicht mehr mithalten. Die beiden bleiben und beißen sich durch.
Doppelbelastung Schule und Sport
Ein ambitionierter Nachwuchsspieler zu sein, bedeutet auch Verzicht zu üben, das ist bei Toni und Nicolas nicht anders: „Ich weiß gar nicht, wie oft man nach der Schule mit seinen Freunden nach Hause gegangen ist und gefragt wurde ob man mit auf den Bolzplatz oder gemeinsam wohin fahren wollte”, erinnert sich Toni. Während die Jungspieler ihren Nachmittag in der Trainingshalle verbringen, fahren die Freunde im Sommer an den See oder Strand. Allzu schlimm ist das für den Power Forward aber nicht: „Der Großteil meines Freundeskreises war im Team, deshalb hat man beim Training ja auch seine Freunde getroffen und konnte mit denen dann das machen, was man am liebsten gemacht hat: Basketball spielen.” Auch Nicolas bereut die verpassten Abende mit den Freunden nicht: „Wenn man zurückblickt, war vielleicht letztlich das besser, was wir als Ersatz gemacht haben.”
Grundsätzlich ist es nicht selten eine Herausforderung, Schule und die vielen Trainingseinheiten (trainiert wird fünf Tage die Woche in insgesamt acht Einheiten) zu vereinbaren. „Ich würde sagen, dass es schon viel Stress war”, erinnert sich der Abiturient. Auch Tonis Tagesplan ist vollgepackt: „Aufstehen, essen, vormittags Schule, nachmittags Training, wieder Schlafen gehen. Eigentlich immer der gleiche Ablauf. Was Hausaufgaben angeht, ist meine Schule aber zum Glück sehr entgegenkommend. Da kann ich auch mal eine kleine Entschuldigung anbringen und die dann einen Tag später nachreichen.”
Talent allein ist nicht genug
Rückschläge und Verletzungen gehören zum Sportlerdasein dazu. Davon werden auch die beiden nicht verschont. Trotzdem bleiben sie am Ball. Nicolas erzählt: „Vor allem wir beide haben uns gegenseitig unterstützt und hatten vielleicht auch den Vorteil, großes Talent zu haben und dazu den Ehrgeiz, immer weiter zu trainieren.” Es erfordert vor allem viel Disziplin, den Traum vom Profibasketball zu verfolgen. Beide sind vor Spielen die Ersten in der Halle. Sie treffen sich eine halbe bis dreiviertel Stunde vor offiziellem Treffpunkt und nehmen noch Extrawürfe.
Zum Talent und dem erforderlichen Ehrgeiz haben den Jungs auch die gegebenen Vereinsstrukturen von der U12 bis zu den Profis geholfen, meint Nicolas: „Vielleicht ist es auch ein bisschen Glück gewesen, dass wir dazu die richtigen Trainer erwischt haben, die damals schon erkannt haben, dass aus uns wirklich was werden kann und uns dann gefördert haben.”
Im Profikader
Die beiden haben es nun geschafft und sich in ihrem Heimatverein ihren Platz im Profikader unter SEAWOLVES- Coach Dirk Bauermann hart erarbeitet. Das macht sie stolz: „Wir, als Nachwuchsspieler, repräsentieren auch unseren Heimatverein EBC und die Jugendarbeit hier. Wir verkörpern, was sich entwickeln kann, wenn man von klein auf, von der U12 bis zu den SEAWOLVES, seinen Weg durch die Vereinsstrukturen geht und dabei immer unterstützt und einem unter die Arme gegriffen wird,” erklärt Toni. Unterstützung erfahren haben die Jungs dabei vor allem durch die Familie, Trainer und Mitspieler.
Auf das Einlaufen in die Wolfshöhle freut sich Nicolas besonders: „Bei mir war es letzte Saison so und bei Nicki wird es diese Saison bestimmt genauso sein, dass man wirklich bei jedem Heimspiel beim Trailer Gänsehaut bekommt. Egal wie oft man ihn sieht. Das ist etwas ganz besonderes, weil es der Heimatverein ist. Das würde so woanders nicht passieren. Weil das einfach ein Gefühl ist, dass man es bis dahin geschafft hat.” Auch für Toni hat dieser Moment eine besondere Bedeutung: „Es ist eine Ehre für mich, bei so einem Team dabei sein und lernen zu dürfen. Das Gefühl, in der Stadthalle einzulaufen, ist etwas, das jeder Jugendspieler des EBC sicher einmal erleben möchte. Ich werde bei jedem Training dabei sein, Vollgas und einfach alles geben. Und mir so vielleicht ein oder zwei Minuten erspielen.”
Ein Blick in die Zukunft
Ein großes Ziel, den Sprung in den Profikader zu schaffen, ist erreicht. Aber auch langfristige Ziele sind gesetzt: „Wir wissen natürlich auch beide, dass es noch nicht vorbei ist. Wir wollen natürlich auch mit dem Team zusammen aufsteigen und dann vielleicht zusammen in der BBL spielen. Das wäre schon ein Traum, in der ersten Liga zu sein, fürs gleiche Team, für den Heimatverein zu spielen,” schwärmt Nicolas. Toni ergänzt: „Dass man fest etabliert im Profibereich ist und da steht, wo man es sich als Ziel gesetzt hat, dass man auf einem guten Weg dorthin ist. Und auch immer noch die gleiche Motivation und den Ansporn hat, das Ziel weiter zu verfolgen.”
Nicolas und Toni stehen vor dem Beginn von etwas Großem. Vielleicht. Wenn sie es schaffen, sich in der nächsten Saison Spielminuten zu erkämpfen. Dann ist vielleicht sogar der große Traum, einmal gemeinsam in der Ersten Basketball Bundesliga mit dem eigenen Heimatverein aufzulaufen, möglich.
Das Gespräch ist beendet. Wo geht es für sie jetzt hin? Zum Angelshop – ein Hobby von Toni. Und danach? „Training” (einstimmig).
Text und Interview: Hannah Mühl